Samstag, 9. September 2017

Absprung...

9.9.• Morgen verlasse ich dieses Land. Dieses wunderbare, spannende, aufregende Land - welches zugleich arm und unfassbar reich ist. Ich verlasse die vielen Menschen, welche mich auf meiner Reise begleitet und gestützt haben und welche mir so unendlich viele schöne Momente ermöglicht haben.
Ich verstehe nun, wo es vorbei ist, dass alles, was so schön war, die negativen und schwierigen Momente, die Ängste, Bedenken und sogar Überlegungen, früher nach Hause zu fliegen, Teile des Ganzen waren. Dass sie solche sein mussten - um aus einer Reise ein Erlebnis zu zaubern. Der Tiefpunkt für mich war wohl bei meiner Ankunft im Kloster Neydo, als ich zwischenzeitlich "kein Zuhause" hatte. Da hat mich Stephan rausgefischt. Heimweh in Muktinath und Sorgen um mein eigenes Ich - da war es Chhewang, welcher mich gedrückt und gestärkt hat.
Und nach und nach konnte ich mir selbst den Rücken stärken, mir selbst einflüstern, was der nächste Schritt sein wird, wohin der nächste Blick wandern wird. Mit der Zeit die Routine des "Ich lasse es wirken und vorbeigehen".
Ich versuche, die beiden Monate ins Gefühl zu bekommen, versuche sie so zu verpacken, dass ich sie mit nach Hause tragen kann. Versuche, Zeit zu empfinden - doch es gelingt mir nicht... Ich kann nur Momente fühlen, keine Nepal-Zeitspanne, wie ich es gerne tun könnte.
Am Vortag habe ich lange mit Stephan darüber geredet: ist es möglich, ein Empfinden zu speichern, sodass man zB wärend der Linguistikvorlesung kurz dieses Beutelchen auspacken um hinter dem Wasserbüffel die Annapurnastufen hochzuächzen, oder die Gerüche von Kumin, Masala, den stinkigen Toiletten/Plumpsklos im ganzen Land, den Yakdung oder den salzig-süsslichen Geruch der Buttermilch zu schmecken? Kann ich das MITnehmen?
Ich stelle es mir sehr schwer vor. Werden die Schweizer Busnetze (5min zu spät und es wird eine Reklamation geben - wärend hier Busverbindungen teilweise für einen Tag ausfallen) meine Bilder von hier verdecken? Wird mein Fahrrad und der glatte Asphalt der Strassen die Steinberge, Schlaglöcher und die grossen Pfützen überlagern?
Wird meine "erzogene" Hündin die feucht-klebrigen Schleckzungen der Strassenhunde wegmachen - und was passiert mit dem dauernden Daal Bat - Essen und dem ständig durchgekochten Essen (nie frisch oder kalte Mahlzeiten) wenn es wieder öfter die Birchermüsli oder geliebten Hirse-Braten gibt zuhause? Was wird mit mir passieren - wenn ich wieder in der Schweiz bin? Vor dem Heimkommen und dem wieder Einleben habe ich keine Angst, auch wenn es vielleicht ein kleiner Kulturschock im neuen Wohlstandsbewusstsein sein wird.
Ich wünsche mir vielleicht, dass man Momente in Sächcken speichern kann, sodass man nicht bloss die Bilder und Erinnerungen wiederrufen kann sondern auch die Empfindung, das Gefühl dahinter!

An unserem letzten Tag zusammen machen wir uns zuerst auf zum Water Garden etwas ausserhalb von Kathmandu. Leider war dieser nicht so wunderbar wie erwartet, wieder einmal hatte TripAdvisor uns die Bilder schöner und prächtiger präsentiert. Ich rate jedem, sich nicht ans Internet zu halten, wenn er oder sie in Nepal unterwegs sind. Die Bilder sind meistens vor dem Erdbeben aufgenommen oder bearbeitet, sodass es prächtiger aussieht als es eigentlich ist... Natürlich blieben wir dennoch eine Weile, liefen umher und sahen einige Ratten. Bei diesem Anblick dann entschied Pia, dass wir uns aufmachen zum Affenberg, dem Swayambhu. Dort war ich mit Sanyia, an unserem ersten Tag - und ich weiss noch dass ich den Ort ganz besonders gemocht habe! Die Affen mit ihren Babys, welche die Treppe säumten und jedem ein Stück Mais oder Toast abluchsen sind auch heute zahlreich, es ist jedoch unglaublich heiss! Renata hat sich extra ihren Sari angezogen für Fotos - und natürlich leidet sie dann beim Weg die Treppen hoch! Oben streifen wir etwas um den Tempel, weichen - inzwischen geschickt - den vielen Ständen und Verkäufern aus ("Ma'am, do you wanna see? Just 100 Rupees! Ma'am!!").
Leise sage ich zu Pia, dass es mich inzwischen sehr viel Nerven kostet, ruhig und freundlich zu bleiben... Manchmal ist es etwas stressig. Plötzlich, als wir unten auf die Beiden anderen warten um nach Thamel zu fahren, kommt ein kleines Mädchen und zerrt an Pias Kleid. Sie bittet um Geld, ist sehr beharrend und folgt uns, als wir ausweichen wollen. Hier kann man nicht ignorant sein, es ist menschlich einfach fast nicht möglich! Dennoch müssen wir sie ignorieren, denn es kommen sonst immer mehr, die Eltern werden folgen. Sonst hatte ich immer kleine Caramel-Bonbons dabei für die Kinder, doch heute bin ich ganz leerer Hände...
Auch mit dem Taxifahrer gibt es noch eine kurze Diskussion wegen des Geldes. Wie immer denke ich, dass es eigentlich unverschämt ist, dass wir für eine Fahrt von 20min über 300 oder 500 Rupees diskutieren. Ich meine, das sind knappe 5 Franken, es ist unglaublich wenig! Doch man muss es relativieren, für die Leute hier ist es wieder mehr Geld!
In Thamel angekommen setzen wir uns in unser geliebtes Himalayan Java und kühlen bei Eiskaffee und Bagel erst einmal runter. Den Nachmittag verbringen wir voll und ganz in Thamel, laufen durch die Gassen, kaufen Geschenke und Andenken - und irgendwann sind unsere Nerven blank und unsere Körper so staubig, dass wir kaum mehr können. Diese Stadt kann so anstrengend sein, sind wir uns einig - und irgendwie hilft es, dass es uns allen gleich geht :)
Ständig werden wir von Taxifahrern angepeilt, von "Guides" umschwärmt - und es ist unmöglich, in einen Laden zu gehen und einfach für sich in Ruhe zu schauen. Die Verkäufer stehen non-stop hinter einem, man spürt ihren Atem, ihr Warten, im Nacken. "Can I JUST look around, please?", bettle ich immer wieder. Und wenn ich einen Sneaker in die Hände nehme und nach der Grösse schaue, kommt gleich die Frage: "You like Adidas, Ma'am? Here is more! Look! You want?"
Und ich muss mich fest zwingen, nicht allzu sehr gestresst zu werden!
Wir haben es dennoch lustig zusammen. Irgendwie. Da Pia und ich viel schneller laufen als Özege und Renata, gehen wir ein bisschen vor und streifen durch die Strassen. Mit der Zeit beginnen wir, die werbenden Strassenbewohner zu ignorieren, ein bestimmtes "No, thanks" tut es auch!
Am Abend treffen wir uns mit Megan, welche den Tag im Camp verbracht hat da es ihr gesundheitlich immer noch nicht gut geht. Ich frage mich, warum die Antibiotika nicht wirken bei ihr. Mich haben sie auf dem Trek damals gerettet!
Zusammen geniessen wir also unser letztes Abendessen im schon bekannten "Or2k" und zuhause im Camp stehen wir noch lange auf der Dachterrasse und blicken über Kathmandu. Die Stadt LEBT. Sie lebt so sehr! Auf allen Dächern sind Menschen, auf den Strassen sind Menschen, überall tönt es, überall passiert was!
Ich kann nicht glauben, wie sehr das Leben hier draussen stattfindet, wie viele Leute auf den Strassen "leben"!
Man ist, das ist echt so, nie alleine, nie alleine...
Und dann gehen wir alle in unsere Zimmer, legen uns auf die Betten - meines quietscht und rasselt ein letztes Mal, wärend ich die heruntergeladenen Episoden von "the affair" inhaliere und warte, bis ich müde genug bin, um ein letztes Mal in Nepal zu schlafen...
Bis morgen!  






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