Freitag, 8. September 2017

Das Vertrauen eines Kindes

Primary 1 - Zero-Hour
6.9.• ...da Pia wie gesagt eine Woche vor mir zu arbeiten begonnen hat ergatterte sie den passenden Spitznamen "Mami", wärend die Kinder mir dann "Papi" zuschrieben - ich finde es ganz lustig! Vor allem weil sie selber verstehen wie falsch es klingt und mich dann jeweils mit ihren glänzenden Äuglein anlachen und glucksen. Papi...
Jeden Morgen und nach einer halben Stunde Mittagspause laufen wir drei also runter zur Holy Spirit School und begrüssen die Schützlinge. Manche von ihnen sind schon sehr reif, reden einige Worte Englisch mehr und können zuhören. Die Meisten aber sind erst 3, 4 Jahre alt und hören noch nicht einmal den nepalesischen Anweisungen der Lehrerinnen zu.
Wenn wir etwas Schreiben oder (was ich jeweils organisiere) draussen Spiele spielen oder Malen werde ich mit "Ma'am" angesprochen.
"Ma'am", "Ma'am!!!", kreischen sie mir ins Ohr, wollen, dass ich irgendetwas ansehe oder korrigiere. Sie scheuen sich nicht davor, mir, wenn ich nicht gleich aufsehe, auf den Rücken zu hauen, mich an den Haaren zu ziehen oder ihre spitzen Nägelchen in meine Unterarme zu graben. Auch gegenseitig sind sie nicht besonders nett zu einander. Oft wird gezwickt, gestossen- einmal sogar mussten wir zwei Jungs auseinanderzerren, die sich gewürgt haben. Die Lehrerinnen schlagen die Kids, nicht verletzend, dennoch so, dass ab und an Tränen der Empörung fliessen.
Meistens aber wird nicht richtig geschlagen sondern nur die drohende Andeutung gemacht - dann benimmt sich der Schuldige meistens. Ich musste zwei, dreimal ziemlich einstecken: Rückenschläge, einmal Beissen, einmal die Brille aus dem Gesicht geschlagen... schimpfen fiel mir in solchen Situationen dann plötzlich nicht mehr schwer 🤔
Die Pre-Primary-Klasse lernt wie beschrieben knapp das Alphabet wobei ich aber nicht denke, dass sie die Buchstaben verstehen und platzieren können, dafür sind sie einfach zu klein!
Ich versuche also, sie mit Ballspielen zum Zählen, mit Pantomimen zu Englischen Tierbegriffen zu locken. Funktioniert ganz gut!
In der Primary-Klasse, welche ich ab dem 4. Tag übernommen habe, da Pia ins Orphanage gewechselt ist, können sie schon buchstabieren und brüllen mir brav die diktierten Worte nach (es wird immer und alles diktiert - fast nie probieren sie ganz alleine...). Hier plötzlich bricht mir der Schweiss aus, denn ich merke, dass ich SELBER echt schlecht englisch buchstabieren kann! Plötzlich fällt mir nicht mehr ein, wie man "y" nennt und dann haben die Nepali auch teilweise etwas andere Aussprachen, da sie einige Laute nicht kennen - und schon kann die Klasse mir nicht mehr folgen. Mir ist es peinlich der Lehrerin gegenüber, denn ich will doch helfen! Sie jedoch ist geduldig und wartet, bis ich die Klasse wieder "bei mir habe", denn sehr oft "rennen sie mir davon" und rasen das ganze A-B-C-D-Lied rauf und runter, ohne dass man sie dazu aufgefordert hat!
Beim anschliessenden Schreibunterricht sollen sie je in einer Spalte "monkey" und in der Spalte daneben "milk" schreiben und da sieht man wieder, dass sie teilweise nicht verstehen oder wenigstens das M wiedererkennen können - als Anashita also abgelenkt wird ("Ma'am!! Airplane!!") kreiert sie durch blossem Abschreiben ein "monkilk" aus beiden Spalten zusammen. Viele lassen mich nicht radieren sondern lassen nur die Lehrerin an ihre Arbeiten - doch ich verstehe auch, dass so viele Volontärwechsel die introvertierten Kids wahrscheinlich auch ziemlich verwirren!
So wie auch einige Anderen isst das "Monkilkmädchen" nicht sehr gut, schüttelt den Kopf und verweigert das Essen. Mir und Megan tut es etwas weh, zu sehen dass die Lehrerinnen das Essen dann in die Münder schieben ohne zu warten, doch es ist nicht schlimm in dem Sinne, da die Kinder sich diese Prozedur bei Lunch und Snack (Mahlzeiten welche in der Schule eingenommen werden) gewohnt sind.
Manchmal bin ich gerne mit einem Kind alleine, ohne Rivalität, denn so kann ich es besser fassen und verstehen - selbst wenn es Nepali plappert. Momente sind teilweise so wertvoll! Da gab es zB immer das kleine Mädchen aus der Pre-Primary, welches oft weinte und dabei aber so unglaublich fremdelte, dass ich nie an sie herankam! Und dann eines Nachmittags vor dem Heimgehen grossen Kummer bei ihr, vielleicht Heimweh oder eine Gemeinheit der Andern, jedenfalls weinte sie ganz fest und die Tränen flossen nur so... Ich fragte mich, was ich tun konnte, es war keine Lehrerin da die eine freie Hand hatte und so stand sie einfach alleine da... ich konnte es versuchen - nahm erst ihre kleine Hand, sie entriss sie mir natürlich.
Ich strich ihr übers Haar, schlagen und noch mehr weinen.
Dann nahm ich sie in den Arm und wärend sie sich erst wehren wollte hielt ich sie mal bisschen fest und strich ihr über die Haare. Plötzlich löste sie sich, wurde schwerer. Ich strich weiter und weiter, bis sie nicht mehr weinte sondern nur noch leise hickste. Dann legte ich mein Kinn auf ihren Kopf und hielt sie in meinen Armen, bis ich Entspannung und Verbundenheit fühlte - bis sie mir voll und ganz vertraute. Sie blickte einmal hoch, aus ihren geschminkten Augen (den Mädchen werden schon mit 4 Jahren die Augenränder mit einem selbstproduzierten Eyeliner umrandet) und da ich genau wusste das ein Augenkontakt das Band zwischen uns wieder verfremden könnte, lächelte ich, aber ohne sie zum Erwiedern zu zwingen. Das tat sie aber - also konnte ich die Zunge rausstrecken. Lachen! Ich war so erleichtert, für mich war es DAS Ziel des Tages und eine Errungenschaft gewesen. Mehr brauchte ich gar nicht "zu leisten"!
Da ich das Mädchen nicht mehr "hergeben" wollte weil mir Vertrauen einfach ein unendlich grosses Geschenk ist, behielt ich sie auf dem Arm bis ihr Vater da war. Ich hoffe und glaube, dass das was Gutes war, dass ich da "geschafft habe". 💛
Abends gehen wir zusammen nach Thamel, um die Woche abzuschliessen. Ich bin gerne mit den 4 Mädels zusammen unterwegs, und wenn wir weg von Kindern, Unterrichten, Camp und unseren Betten sind, ist die Kommunikation irgendwie etwas leichter - in der Shishabar spielt eine sehr gute Band (viel Ed Sheeran, welcher hier ziemlich gefeiert wird) und wir reden einfach über alles was uns bewegt und beschäftigt... Auch wenn ich diese Mädels nicht kenne, denke ich, kann ich irgendwie dennoch offen sein, frei fühle ich mich - und ziemlich gut!
Am nächsten Morgen um 6:30 eine private Yogalesson (mir fielen zwischenzeitlich, wenn es nicht gerade streng war, etwas die Augen zu - eindeutig geht kaffeenüchtern nichts) ☺
Neben meinem Trainer welcher selbst ein Yogastudio hat und extra herkam dafür komme ich mir schrecklich ungelenkig und steif vor. Wie er es schafft, die Beine etwas nr zu spreizen und dann die Stirn auf die Matte zu legen ist mir unverständlich - ich kann nicht einmal die Beine in gerade (!) Richtung Himmel strecken! Plötzlich sind da irgendwie nur noch Beine und Arme welche allesamt viel zu lang scheinen - und ich bin ihm ziemlich dankbar, dass er keine Kommentare macht ^^
Später mache ich mich auf nach Thamel, wo ich Stephan und Pasang noch einmal treffe in der Pumpernickel Bakery. Wir sitzen gemütlich zusammen hinten im Garten unter Fruchtbäumen und wie letztes Mal finde ich es wunderbar, die Gäste zu beobachten, welche meistens Nichtnepalesen sind und mit Buch und Kaffee zum Frühstück hier her kommen und etwas recherchieren, schreiben und einfach etwas die Hinterhofstille geniessen...
Nach einem schönen letzten Thameltag fahre ich ins Camp retour, wo ich schön geschmückt in einen Sari gehüllt werde und mir Akriti Henna auf die Hand malt! Das riecht komisch, aber "erdig" und ich mag es - es beruhigt auch wunderbar, ihr beim Ornamente-zeichnen zuzuschauen! Das gesamte Team sitzt rundherum, schaut (wie fast immer) TV und ich geniesse es, einfach etwas mit ihnen zu sein. Manchmal ist es gar nicht schlimm, im Gegenteil, eine Sprache nicht zu verstehen - es ist fast eine Erleichterung, zuhören zu dürfen, ohne das Gehörte danach gleich zu bedenken - versteht ihr was ich meine?

Human Hand 

Das IDEXteam :)

Shishabar: "Alice in Wonderland"-Style

Don't look at me like that....

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