Sonntag, 6. August 2017

Samar, Geling, Tsarang und die Erkältung..

Blogreihenfolge von unten nach oben! Allenfalls also erst einmal runterscrollen ☺

28.7. Samar - Geling

Aufstehen um 6:05. Vorsichtig teste ich meine Kräfte, habe ich Fieber? Was mir als erstes auffällt ist der Rege, Tsan, typisch für das grüne Dorf Samar, welcher fein rieselt... In diesem Nebental sei das üblich, es sei sogar der einzige Platz im Mustang, wo Regen hinkomme...
Um kurz nach Sieben laufen wir los, zu Beginn noch Regengeschützt.... die Hänge sind steil und ich nutze die schon gut angeeignete Atmungsmethode, welche in Höhen von fast 4000m wirklich hilft: 1 Schritt/Einantmen, 1Schritt/Ausatmen...
Es geht immer ziemlich steil auf und ab, was für die Beine Muskelkater des Todes geben wird! Aber ich bin dankbar dass ich wieder etwas auf den Beinen bin. Auf dem Weg gelangen wir immer wieder an kleine Stätten, Steinhügel, mit flatternden Gebetsflaggen. Traditionell wirft man darauf kleine Steine dazu als Opfergabe. Eine kleine Höhle treffen wir an inmitten einer tiefen Schlucht, wo ein tibetischer Gott damals eine Stupa errichtet hat - wie er die Höhle wohl so zufällig gefunden hat...?
In einer kleinen Lodge nach einigen Auf und Absteigen bestellen wir eine Nudelsuppe... Auf dem letzten Abschnitt langes, tiefes Gespräch mit Chhewang: er erzählt von seinen Träumen, seiner Zukunft. Er hat sich noch für den Master in Sozialwissenschaften angemeldet, erzählt er stolz. Auch möchte er gerne, dass seine Tochter den Mustang und die sonstigen unberührten Gebiete Nepals ebenso kennenlernen wird wie Kathmandu, wo sie studieren wird (Pokhara hat keine Uni). Ob er jemals wieder aus Nepal weg will, nach Europa, frage ich ihn. Eher nicht, sagt er. Die Familie brauche ihn, er habe ausserdem sehr kranke Eltern. Seine Schwester ist in Lo Manthang und kann von dort oben nicht gross helfen, seine anderen Geschwister sind in Nepal ziemlich verstreut. Man bleibt nicht zusammen, wenn man Arbeit braucht, man geht weit weg, um überleben zu können. Einst habe ich Chhewang mit seiner Mutter telefonieren hören. Der Vater brauchte Medizin, welche aus Pokhara gebracht werden musste - und so etwas kann Wochen dauern! Die Mutter am Telefon hustete sehr stark.
Nach dem Mittag ca 2 Stunden mehr, wobei wir an einigen Strassenbauten und Schulkindern vorbeikommen. Sie sind gar nicht scheu, grüssen spitznäsig 'Namaste' und blinken mich mit ihren kleinen Augen neugierig an...
Wenn ich in ihre Gesichter blicke, dann empfinde ich immer sehr grosse Lieben, Zuneigung und Nähe. Die Wangen sind meist dreckig und etwas staubig, was aber nicht selbstverursacht ist sondern als Schutz ("des schönen Kindes") vor den Dämonen dient...

29.7. Geling - ...???
Heute gehts mir wieder schlechter. Ich habe den Fehler gemacht, die Haare zu waschen am Vorabend. Natürlich gibt es hier oben keinen Föhn, schon warmes Wasser für 10min ist Luxus! Kälte über Nacht keine, morgens sehr stark. Ich freue mich aufs Laufen, doch als ich das Wetter sehe... es schüttet aus Kübeln!
Wir montieren alles wasserfeste, packen Rucksäcke ein und ich werfe dem Frühstück zur Reserve einen Nussriegel nach. Nach 2 Stunden laufen haben wir den 1. Pass geschafft und sind über 4000Metern, mein Puls hat sich von ca 130 auf brave 60/min erholt. Herbert sagt mir immerzu, dass er heftigere Treks mit Erkältungen wie der Meinen hingekriegt hat mit den rechten Medikamenten, doch ich trotze dem. Ich werde keine körperüberfordernde Dinge tun, wenn diese nur MIT Medikamentation zu schaffen sind. Da mache ich mich kaputt.
Wahrscheinlich hätte es geklappt mit dem trekken heute wenn nicht dieser dauerhafte Regen gewesen wäre. Er weicht die Erde auf, verwandelt die wenigen verbliebenen Strassen in Flüsse - und schon bald friere ich trotz der Schichten.
In Ghemi angekommen, der drittgrössten Stadt Mustangs (mit einer wunderschönen, langen "Manimauer"), müssen wir umplanen. Den Trekkingteil querfeldein zur Lo Ghekar, einem der ältesten tibetischen Klöster, können wir bei dem Hudelwetter nicht machen. Ich spreche mit Chhewang: Ob er und die Träger es dennoch machen würden? - Jaaaa es geht schon. - Und ob die Träger denn keinen Regenschutz anziehen wollten? - Ich habe sie gefragt, die haben nicht kalt!
In Ghemi gehen wir in eine kleine Lodge, wo zum Glück ein Herd brennt. Wir ziehen alles aus, was nass ist und hängen das total durchnässte über die Flamme. Schädelbrummen, Wackelbeine und irgendwie nur halber Blick... Ich verfluche mich selbst so sehr in diesem Moment! Auch Herbert schniegft ganz ordentlich, aber dass ich jetzt gerade Krank werden musste... Sch***.
Ich bekomme ein wenig Angst jetzt. Wenn es einen Menschen gibt, der sich bissel mit Medizin auskennt ist das wohl das höchste was ich bekommen könnte. Eine Apotheke, geschweige denn ein Hospital gibt es erst wieder unten in Pokhara.
Also: Jeep nach Tsarang, dem Dorf, welches wir eigentlich für das alte Kloster auslassen wollten. Als wir nach dem Mittagessen kurz das Dorf besichtigen wollen, kommt die Sonne wieder raus und - typisch Magdalena - ich hinterfrage unseren Jeep-Entscheid gleich wieder! Ob die anderen nun doch lieber wandern wollen würden? Doch die Hitze in meinem Kopf hat den musikalischen Takt eines Hard Rocks angenommen, ich halte mich an den Hauswänden fest, um irgendwie durch die schlammigen Strassen und zwischen den lehmigen Hauswänden vorbeizukommen. Ein Hund streift meine Regenhose, sein eigentlich hübsches Fell ist vollständig verfilzt und voller Lehmklumpen.
Ich überlege die ganze Fahrt, ob die andern vielleicht aussteigen und wandern wollen, doch sie wollen mitfahren nach Tsarang. Herbert möchte unbedingt am selben Nachmittag noch zur Lo Ghekar laufen (3 Stunden je für einen Weg!) doch Chhewang meint, es würde nicht gehen. Als Herbert (zum dritten Mal) aussteigen will für ein Foto, drehe ich mich zu unserem doch etwas ZU höflichen Guide um und sage: "Chhewang, du darfst auch Nein sagen!! Der würde sonst nach Tibet laufen wollen!"
Er muss einfach lernen, das zu nehmen was gegeben ist - nicht immer mehr zu wollen!
Auch die Träger sind offenbar dankbar, als wir in Tsarang ankommen, nachdem wir einmal im Strassengraben gelandet sind und ein halbes Dorf uns raushieven musste und dann noch eine tiefliegende Stromleitung (ohne Pfupf, sonst würde ich nicht mehr schreiben hier!) erwischten und den Draht mit Werkzeug vom Dach unseres Autos abtrennen mussten.
Mir kommen nun auch etwas die Tränen der Erleichterung, dass wir angekommen sind in einem Dorf, dass es nicht mehr regnet und dass die teilweise seit 2 Tagen nassen Sachen endlich in der Sonne trocknen, dass ich liegen kann - egal wo.
Nachdem wir Tee getrunken haben lasse ich mich verlocken zu einem Tsarang-Rundgang. Hätte ich das nicht gemacht, hätte ich echt was verpasst! Wir treffen Mönchskinder, welche ein Brettspiel spielen in einer alten Klosterschule auf dem Hügel. Wir sehen Manimauern und Gebetsräume, das ehemalige Königsschloss, Statuen, Thangkas, sehen alte Schriften und (in einem Frauenkloster) wunderbare Aufsätze über Eltern, Erziehung, Heimat und Glaube. Ich kann mich nicht sattlesen. Obwohl das Kloster eine Renovation dringend nötig hätte (dem Regen hält das Dach nicht stand, es ist in allen Räumen nass) und die Hygiene am Talboden aufzukratzen ist - treffen wir 6 junge Mädchen, welche sich zusammen vor einen Bildschirm pressen und einen Tibetischen Film schauen. Sie machen das gleiche wie alle Frauen es immer tun, wenn eine weitere Frau den Raum betritt: einmal von unten nach Oben scannen (zum Glück habe ich mir mein Tuch fest um die Knie gewickelt!), doch dann bekomme ich gleich ein rotbackiges, braunäugiges Lächeln geschenkt ♡
In der Klosterbibliothek vergesse ich kurz meine Erkältung und die Bett-Sehnsucht: ich habe plötzlich schmuddelige, alte, englische 'Harry Potter' und 'Herr der Ringe' in den Händen! Staubig und vergilbt trotzen sie den Extrembedingungen hier draussen - und sind ebenso stark und beständig wie ihre Leserinnen.
Auf dem Heimweg dann wieder Wackelbeine. Ich bedanke mich wieder bei Chhewang, danke ihm für seine Worte: "auch wenn du ab jetzt mehr mit dem Jeep fahren musst - wenn du es bis nach Lo Manthang geschafft hast, dann kennst du den Mustang! Du wirst nichts mehr verpassen!"
Ich schrecke aus meinem Krankenlager auf. Eine Kuh unter meinem Fenster hat megaphonemässig gemuht! Es antwortet ein wieherndes Pferd, schreiende Kinder - und konstant das Rütteln des Windes an unserem profisorisch-hoffentlichhältsnocheineNacht-Dach.

Wie schnell man sich an die hier vorherrschenden Konditionen gewöhnt ist unglaublich! Meine kindische Freude, als ich gestern "hot shower" las, meine Zuneigung den Kloster-Mädchen gegenüber, der enorme Respekt in den Klöstern und an Gebetsorten. Dann die Art, wie man Äpfel über 2 Tage rationiert, weil es das einzige frische Obst ist, das man essen kann. Das kurzfristige Umplanenmüssen bei Wetterwechsel, das Schlafen auf dem Handtuch, da es kein Leintuch hat. Das gesellschaftliche Akzeptieren jeglicher kleiner Zimmer- und Duschgenossen (auch Gekos...), keine Angst haben davor. Taschentücher halbieren, Socken als Kameraschutz, das Handy als Spiegel - oder einen Tag keinen Spiegel. Das Umherschauen. Ich blicke so viel mehr in die Welt als zuhause. Vor allem nach oben, aber auch nach hinten. Was ich mich zuhause nicht traue...
Das spärliche Denken an Zukunft - nur ans Jetzt! Und zugegeben besteht auch für mich das jetzt aus nur einem: (durch)leben.
21:10: Vorhin beim Abendessen habe ich der Familie beim Momo-machen zugesehen. Die ganze Familie machte mit, denn chinesischer Besuch wurde erwartet! Der Teig wird mit einem Wasserglas rund ausgestochen (1. Händepaar), dann wird in die Mitte die Füllung (Gemüse, Fleisch, Kartoffeln oder Thunfisch aus der Dose; 2. Händepaar) gegeben und schlussendlich geschickt zusammengefaltet und seitlicv zusammengeknetet (3. Händepaar) sodass sich der hübsche Kamm bildet. In einem Dämpfer werden die Momos dann gedämpft - evt auch frittiert danach.

Jetzt liege ich in meinem Schlafsack, habe meinen Tee in der Thermoskanne als Bettflasche und lausche dem unendlichen Bellen der Strassenhunde. Die Wände sind dünner als ein Teppich - also höre ich auch Herberts ruhiges Atmen. Ich habe den Kopf hochgelagert damit ich einigermassen atmen kann und werde morgen 4 Stunden nach Lo Manthang laufen mit Sabin. Ich werd schon wieder gesund!
Ich bin dankbar.


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