Sonntag, 6. August 2017

Willkommen im Mustang!


26.7. 00:43 Uhr
Schlaflos... Übelkeit und leichte Kopfschmerzen, dazu unangenehm kalte Füsse und das Gefühl, nicht sicher zu sein. Chhewang hat uns Anti-Mücken-Stecker auf die Zimmer mitgegeben, deshalb bleibe ich von ihnen verschont... Hunde bellen draussen und beginnen, zu heulen. Ich glaube auch, leichten Regen zu hören...
Habe ich ein Medikament gegen die Übelkeit dabei, wenn ich nun doch Mühe mit der Höhe habe? Nun sind wir doch schon an der 3000er-Grenze...
6:30 Abfahrt Richtung Kadbeni. Auf dem Weg gabeln wir unsere Träger Suman und Sabin auf. Sie sind freundlich und lächeln viel!
Wir müssen an einem Fluss aussteigen, hüpfen hinten auf einen Traktor und holpern durch den Fluss. Dann laufen wir los, ca eine Stunde bis Kadbeni!
Das Dörflein ist klein, geschmückt mit vielen Gebetsfahnen und -mauern. Vieles ist schon Tibetisch, die Leute lächeln und grüssen freundlich. In einem asiatischen Trekkinghostel teilen wir uns die Frühstücksstuben mit einer Gruppe rot gekleideter Mönche und bestellen unser Essen. Es gibt für mich ein Vegetarisches Omlet aus Eiern und Gemüse und dazu schwarzen Kaffee mit morgen-frischer Milch.
Danach machen wir uns auf den Weg - und mit etwas Mageninhalt fällt das Wandern schon leichter!
Dann trekken, langsam, sachte den Hügel hinauf. Dabei knabbere ich schweizer Blevita und trinke den ersten Liter Wasser. Auf dem Weg treffen wir einen amerikanischen Vater mit seinen 2 Töchtern - sie laufen viel zu schnell! Chhewang sagt mir, dass ein solches Tempo Schwierigkeiten geben könnte...
Wir dagegen sind sehr langsam, mein Atem geht schnell und flattert ein wenig, ich muss aufpassen dass ich immer wieder Kohlendioxid raus und rein lasse! Die Landschaft: atemberaubend. Wie auf den Bildern zu sehen ist, schlängelt sich der Kali Gandaki breit, schlammig und untief durch das Tal, wir laufen immer etwas oberhalb durch die wüstenartige Landschaft.
Kleine Büsche, trockene Stauden wachsen in Meterabständen und malen aus der Ferne kleine dunkle Punkte in den Felsen. Appel Farm links, Drachenrücken (Steinsformationen, welche nagelfluhartige Stücke eingebaut habeb) zu beiden Seiten.
Die Strassen sind staubig, kiesig und manchmal etwas sehr steinig, sodass der mir schon bekannte leichte Krampf im rechten Fussballen kommt.
Nach ca 2 oder 3 Stunden erreichen wir das kleine Dorf Tangbe (3300m), wo wir uns in der schmalen Lodge erst einmal auf die Liegen strecken und aus den schweren Trekkingschuhen schlüpfen. Einige Fliegen brummen umher, aus der Küche tönt das Reden kleiner Kinder und einer nepalesischen Frau. Das Mittagessen wird gekocht, eine Nudelsuppe für Andreas (welche er nicht isst - ich jedoch habe Berglöwen-Hunger nach dem Laufen!) und mich. Ich bin schon sehr müde, habe aber nicht das Gefühl, schon mit der Höhe zu kämpfen zu haben.
Herbert sitzt am Fenster mit Bier und wartet "bis sich der Nilgiri aus den Wolken schält". Es tut so gut, die Zehen zu spreizen - an etwas anderes denke ich gar nicht in diesem Moment...
16:00 Uhr: Ankommen im kleinen Dorf Chusang. Ich sitze in der kleinen Sitzgruppe/Gemeinschaftsraum/Esstisch und trinke einen schwarzen Kaffee, auf dem Schoss Knausgård. Doch konzentrieren kann ich mich irgendwie nicht. Ich lausche den angeregten Gesprächen der Einheimischen, wahrscheinlich Mutter und erwachsene Söhne welche von der Stadt heraufgekommen sind. Die Zimmer sind in einem Steingebäude oben, ein wunderbarer Ausblick auf den Kali Gandash ist mir geschenkt... Im Stall darunter stehen "Mulis", Mischung Pferd/Esel, wobei diese den Esel als Vater haben und so viel kleiner sind als die grösseren Maultiere. Mit lieben Augen blicken sie hoch, einige von ihnen sind sehr dünn, sodass mein Pferdeherz etwas tränt...! Dennoch ist die Anwesenheit aller Tiere wunderbar für mich in dieser rauhen Gegend, ihnen in die Augen zu blicken reicht!
Chhewang kam vorhin zu mir und flüsterte ganz leise, denn die Familie hat spitze Ohren: "Für Einheimische ist es eine grosse Aufgabe, uns zu bewirten! Sie geben sich sehr grosse Mühe, merkst du?" Ja natürlich!
Auch in Tangbe wurden wir grosszügig respektiert, nackte, sich waschende Frauen grüssten uns ebenso selbstverständlich wie die Truckfahrer, welche ein frohes Namaste runter rufen, während ich hinter einem Stein versuche, mir die Toilette "vorzustellen" ;) Ich finde es spannend, dass in so vielen Ländern darüber gestritten, diskutiert und gekämpft wird dass Frauen gleichberechtigt werden - in Beruf, Stimmrecht, Rechten... Und Länder wie Nepal als Entwicklungsländer bezeichnet werden. Hat sein Wahres, auch wenn die buddhistischen Frauen einen viel höheren Stellenwert haben als zB die hinduistischen oder islamischen - trotzdem können wir in der Unverbindlichkeit und Schamlosigkeit wie auch in dieser unendlichen Selbstverständlichkeit des Ich- und Wir-Seins einiges lernen von diesen Völkern.
Ich habe schon jetzt gelernt, mich nicht zu verstecken hier. Wenn ich etwas benötige oder wünsche, dann macht es sich viel besser wenn ich glech frage, denn Ehrlichkeit schätzen die Nepalesen (ausser wenn ihre Ernte nicht schmeckt - dann sollte man besser lügen und es "toll" finden!)
Wie sie versuchen, dir immer das Beste zu geben, dir die Decken im Zimmer her richten und Toilettenpapier und ein wertvolles Stück Seife ins Zimmer stellen... Sie kümmern sich um uns - so viel besser, als es ein manch Reicher um die ihm Unterlegenen tut...
17:58: ich sitze im Apfelhain (das Mustangtal ist bekannt für seine Äpfel und Aprikosen, welche hier trotz der rauen Landschaft gut gedeihen, sie bleiben klein, aber sind sehr süss!) und lasse meine geduschten Haare im starken Wind trocknen. Inzwischen trage ich 3 Schichten: Sweather, Fleece und Kunstfaserjacke - es hat auf mind 15 Grad runterekühlt und der Wind pfeift durch das Kaligandaki-Tal... Es sind weitere Trekker gekommen, man hat sich auf dem Flughafen in Pokhara schon beim "Sechsuhr-Kaffee" zugenickt. Jetzt kennen wir uns schon besser, das eine Amerikanermädchen hat wie ich die Highschool in der Tasche und will Geologie studieren nördlich von California. Herbert hat sie heute ziemlich genervt mit immer wiederkehrenden "Damit machst du keinen Beruf" und "ach was, Geologielehrer braucht es nicht mehr!"
Ich hab mich mit der Zeit an ihre Seite stellen müssen als sie verzweifelt zu ihrem Papa geblickt hat: "I hate being American these times. This man (Trump) destroys everything!!" Meinte sie, dass Herbert sie demütigte weil er Trump mit allen Amerikanern verband?
Auf dem Weg war ich dann ein Stück neben ihr gelaufen. Wir beide wollen etwas studieren, was keine Einbahnstrasse zu Zahnarzt oder Arzt ist. Wir beide haben nach dem Studium nicht viel in der Tasche ausser dem Abschluss. Und wir beide werden danach unser Leben mit Arbeit gestalten, so wie wir eben können! ♡

Nun Knausgård auf dem Schoss, die Sneakers sind so viel leichter als die Trekkingschuhe! Aber es wird so verdammt kalt dass ich nicht mehr lange hier sitzen kann... Kein Empfang, kein Wlan, keine Bindung. Nur ich und Knausgård, sein "Leben", mein Ich... Und dass ich nicht auf Empfang bin momentan fühlt sich toll an - ich will gar nicht noch mehr wissen als all das hier. Denn das ist schon verdammt viel!

27.7. Chhusang - Samar
Erneutes aufwachen in der Nacht. Übelkeit und Husten! Eine Erkältung bahnt sich an...
Am Morgen um Sieben werde ich zum Frühstück geholt. Den Apple-Pancake kann ich nur mit genügend Kaffee runterspühlen. Offensichlich sass ich gestern zu lange im Wind...
Auch Andreas hat eine Erkältung, bei ihm offenbar richtig übel, denn er wird heute mit dem Jeep nach Lo Manthang gefahren. Wir werden also nur noch zu Fünft unterwegs sein - Herbert, Chhewang, die Träger und ich.
Auf dem Weg nach Oben müssen wir einen etwas steilen Hang hochkraxeln. Ich spüre dezentes Hämmern im Kopf und brauche plötzlich einen Schal, weil mir Kalt ist. Ich will nicht krank werden!!!
Obwohl es erst kurz nach halb Elf ist, müssen wir Mittagspause machen, denn danach wird lange kein Dorf mehr kommen wo wir was essen können. Nach Samar wird es noch etwa 3 Stunden sein, sagt Chhewang. Die Felsformationen sind majestätisch wie immer. Das Tal ist in diesem Abschnitt enget geschnitten und der Kali Gandaki fliesst heftiger, schneller! Die Felswände sind ziemlich brüchig, da kann man teilweise mit dem Fingernagel kleine Steinschläge auslösen... Rostig-rötlich sind sie nun.
Wir kommen an einigen Strassenbauten vorbei wo viele Frauen, oft mit kleinen Kindern auf dem Rücken, arbeiten.
Das Aufsteigen bereitet heute sehr viel mehr Mühe - aber das ist wegen der Erkältung. Ich bete nun innerlich, dass es nicht schlimmer wird oder sich gar eine Lungenentzündung anschleicht... Zu Mittag bestelle ich mir mit Herbert zusammen einen gefüllten Teller Reis und eine Dal-Suppe. Ich esse so viel ich kann und zwänge mir damit Energie auf wie es halt geht..!
Meine zuvor etwas fiebrige Sicht wird klarer, das Aspirin und Herberts Schleimlöser wirken langsam. Hoffentlich schaffe ich es bis Samar!
Auf wen hören? Erfahrener Bergtrekker und Mustangkenner - oder Einheimischer Guide, welcher hier aufgewachsen ist? Herbert kann aus europäischer Sicht reden, hat das Ganze mit meinem anfänglichen Standpunkt begonnen. Chhewang ist einsame Spitze, er kennt jeden Dorfbewohner und alle Schleichwege. Doch er selbst kann viel mehr, ist ziemlich gut akklimatisiert und kommt ohne fast alles aus! Er sagt mir, dass ich es schaffen werde, Herbert sagt, dass ich, wenn ich die heutigen 700 Höhenmeter geschafft hab (mit fiebrigem Kopf und Halsschmerzen) dann würde ich auch den schwierigen Teil nach Lo Manthang schaffen, vor welchem ich so Schiss habe... Aber da kommen noch so viel mehr Etappen, welche tückisch und fies sein werden, das weiss ich! Und ich habe ziemlichen Respekt! Beim Trinken hat man schneller das Gefühl als beim Essen, keinen Platz mehr zu haben, doch beides hilft. Man merkt, wenn der Körper zu wenig Wasser in sich hat, wenn man trinkt in diesen Höhen: die Nase beginnt zu laufen.
Dann ist gut. Beim Essen: leicht verträgliches, was "gut rutscht". Fettige Speisen sind beim Magen nicht sehr beliebt, Kohlenhydrate sind es!
Ärger über Herbert: manchmal ist er sehr hilfsbereit und kümmert sich um jeden meiner Schritte, leitet meine hektischen Atemzüge an, bekräftigt mich. Doch wie ältere Herren eben so sind - er weiss zu allem etwas von sich zu erzählen, auch wenn es noch so abenteuerliche Storys sind. Wenn ich wärend dem Laufen höre, dass 800 Höhenmeter an einem einzigen Tag viel zu viel sind, dann bekomme ich leider immer noch grosse Zweifel. Doch ich bin ja nicht gekippt!
Auf dem Weg (rauf , immer weiter rauf, wann hört dieses Aufwärts endlich auf?!) Versuche ich, Hörbücher zu hören um mich abzulenken. Katharina Thalbachs Stimme ist mir zu aufregend, da gefällt mir viel besser, wie Joachim Schönfeld "über den Norden" liest.
Seine Stimme geradliniger, einfacher, ruhiger...
15:30 Endlich sind wir in Samar (3660m) angekommen. Mein Rücken brennt, die Adern an den Waden scheinen fast nem Dammbruch Nahe zu sein. Es war gesundheitsmässig zu viel heute, auch wenn die Kräfte notfalls mitgemacht hätten. Doch wir mussten auch einen Umweg machen wegen Strassenbau - vielleicht wäre die Reisebeschreibung für heute für den unteren Weg nicht so enorm untertrieben gewesen...!
In Samar bekommen wir einen heissen Ingertee und ich nehme das 2. Gelomyrtol (von Herbert liebevoll verschrieben, der Mann ist selbst echt top fit!) mit einem Aspirin zusammen. Ich traue mich nicht, das Medikament gegen Höhenkrankheit zu nehmen da ich 1. Nicht weiss ob es eine solche ist und 2. Hätte man am Tag VOR der Expansion, also gestern, beginnen müssen! Dann pflanze ich mich ins Bett, schalte das Heim-bekannte Harry Potter-Hörbuch an und schlafe tief ein, wache aber nach einer Stunde schon wieder auf! Gerade rechtzeitig, denn als ich meine schmerzenden Gliedmassen zum aufstehen zwinge und meinen Brummschädel durchs Fenster strecke sehe ich ihn: den von Wolken befreiten Annapurna-Kamm und daneben teile des Daulagiri-Massivs. Es ist atemberaubend! Im Blauen Himmel sind die schneebedeckten Zacken messerscharf zu sehen und stehen so majestätisch da, dass man ihnen Danke sagen will, dass sie sich kurz zeigen!

Die harten Matrazen, die Zimmer ohne Heizung und die nässenden Decken laden sicherlich nicht dazu ein, gesund zu werden, denke ich. Doch nun muss mein Körper sass alleine schaffen. Ich muss, muss morgen wieder besser auf den Beinen sein. Irgendwie hilft es sehr, dass ich weiss, dass ich heute alles richtig gemacht habe. Ich bin langsam gelaufen, habe viel getrunken und zweimal was suppigartiges gegessen, überhaupt genug gegessen. Das ist das Wichtigste. Mein Körper kann jetzt versuchen - über Nacht hoffentlich - etwas zu genesen. ☆

Mit Knausgårds "Leben" auf den Ruinen Chhusangs

Andreas - hinter ihm das Kaligandakital

TREKKING

Mustang in seiner definierenden und typischen Farbe: braun :)


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